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Presse

Steinerner Zeuge am Rande der Zeit
Steinerner Zeuge am Rande der Zeit
Steinerner Zeuge am Rande der Zeit
Lindenberg 27: Häuser und ihre Geschichte (104)
Von Christiane Weber

Flughafen. In breiten Lettern, vergilbt zwar, doch noch immer deutlich sichtbar, hebt sich über der Eingangstür ein Namenszug ins Bewußtsein. Aufmerksamkeit einfordernd für eine doppelstöckige Villa, die sich solide am Rande der Zeit behauptet. Die Gegenwart braust auf der nahen Jenaer Straße vorüber der Zukunft entgegen. Kein neuer Anstrich hat in den letzten Jahrzehnten die neun Buchstaben getilgt. So bleibt am Lindenberg 27 erinnerlich, was dort in der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts für reichlich Wirbel weit über Weimar hinaus sorgte.
Nur acht Jahre nachdem die Brüder Wright 1903 mit einem ersten Motorflug die Geschichte des Flugwesens revolutioniert hatten, wurde in Weimar Fluggeschichte geschrieben. Noch vor Eröffnung des Weimarer Flugplatzes hatte am 4. März 1911 Emil Jeannins Fernflug (!) von Gotha nach Weimar geradezu eine Völkerwanderung mobilisiert. Wie die Thüringische Landeszeitung Deutschlands berichtet, hat der Mülhäuser mit seinem Aviatik-Doppeldecker die Strecke in etwa 400 bis 500 Meter Höhe innerhalb von einer halben Stunde zurückgelegt und war glatt auf dem Platz gelandet, "begrüßt von dem lauten Beifall der lOOOköpfigen Menge. Herr Jeannin verließ in denkbar bester Verfassung seinen Flugapparat". Damals hießen die Flugzeugführer noch Aviatiker, jeder Flieger erhielt, wenn er in Gotha fünf Minuten geflogen war, 1000 Mark, wenn er gar bis Weimar gelangte, 2000 Mark.
Am 27. November 1909 hatte sich in Weimar der "Verein für Luftverkehr" (VfL) unter Vorsitz von Rechtsanwalt Georg Mardersteig zusammengeschlossen. 1910 errichtet der Verein einen Luftschifflandeplatz an den "Neunzig Äckern" (Jenaer Straße), der sich auch als geeignet für Flugzeuge erweist. Der Webicht-Flugplatz wird weiter ausgebaut und am 8. Juni 1911 die "Mitteldeutsche Fliegerschule" eröffnet. Melly Beese, die erste deutsche Fliegerin, fliegt dort Trainingsstunden. Durchaus möglich, daß sie in der unmittelbar am Flugplatz gelegenen Villa am Lindenberg 27 wohnt.
Prächtiger Ausblick
Theodor Sömmering ist ein geschäftstüchtiger Mann. Kaum ist der Flugplatz eröffnet, reicht er seinen Antrag auf Bau eines Gasthauses beim Gemeindevorstand Oberweimar ein. Es kümmert ihn nicht, daß er "an die Gemeinde Oberweimar keinen Anspruch auf Wasserbeschaffung, Beleuchtung, auf Wege und Straßenherstellung sowie auf Nachtwache oder sonst von der Gemeinde ortsübliche Dienste und Sicherheitsleistungen" hat, sondern selbst dafür aufkommen muß. Den Bauerlaubnisschein erhält erhält er am 3. Dezember 1911, bereits am 17. Mai 1912 erfolgt die Schlußabnahme des Hotels am Flugplatz.
Von Architekt Bräunlich ist ein gediegener Zweigeschosser mit ausgebautem Mansarddach im Heimatschutzstil entworfen worden. Während das Erdgeschoß dem mehr als 50 Quadrateter großen Gesellschaftszimmer und den Gasträumen vorbehalten bleibt. entstehen im Obergeschoß sieben Fremdenzimmer unterschiedlicher Größe. Davon haben fünf einen prächtigen Ausblick auf das benachbarte Gelände des Luftverkehrsvereins Weimar, ebenso die Räume im Dachgeschoß. Derweil die aus der Stadt herbeieilenden Besucher im Gedränge der Massen ihre Hälse recken müssen, die Hotelbesucher haben zum angenehmen Ambiente einen Logenplatz inclusive.
Der Reiz des Fliegens
Mit rastloser Energie hat Georg Mardersteig es verstanden, Gönner und Förderer für seine Sache zu begeistern, die in der glücklichen Lage und willens sind, ihm mit reichen Mitteln hilfreich zur Hand zu gehen. Die dem Flugplatz dienenden Baulichkeiten werden auf einem 30 Meter breiten Streifen Landes errichtet, der sich der ganzen Westgrenze des (ehemaligen) Exerzierplatzes entlang erstreckt. 1n den vier Fliegerhallen von jeweils 14 mal 14 Metern Fläche und viereinhalb Metern lichter Höhe errichtet nach dem patentierten Verfahren von Otto Hetzer, finden sechs bis acht Flugzeuge Platz. Nach Plänen von Architekt Röhr wird das Verwaltungs- und Klubhaus errichtet.
Daß die Fliegerei in höchstem Maße wetterabhängig ist, soll schon die Eröffnung des Flugplatzes am 8. Juni 1911 dick unterstreichen. So meldet die Landeszeitung: "Nachdem während der Pfingstfeiertage meist das schönste Wetter geherrscht hatte, setzte schon am Mittwoch eine starke Brise ein, die sich am Donnerstag, den man zur Eröffnung des Flugplatzes ausersehen hatte, noch verstärkte." Ausfallen muß deshalb das angekündigte Schaufliegen. "Gegen die Elemente können wir nicht ankämpfen, und wir wollen das Leben der Flieger nicht aufs Spiel setzen" (Mardersteig).
Was damals ein lebensgefährliches Abenteuer war, ist heute nur knapp 90 Jahre später, Alltag. In einer Zeit, da das Fliegen selbstverständliche Art der Fortbewegung geworden st, da der Mensch heute geschäftlich nach London jettet, morgen zum Urlaub auf die Kanaren, weckt die Eröffnungsansprache Georg Mardersteigs anno 1911 zartes Schmunzeln: "Wir aber wollen", betonte der Vereinsvorsitzende, "dem neuesten Rüstzeug des Menschengeistes im Kampf mit den Naturkräften eine Freistatt bereiten, dem Rüstzeug, zu dessen Handhabung eherne Todesverachtung, eiserne Kaltblütigkeit, sekündlicbes Einsetzen von Leib und Leben erforderlich sind, dem Rüstzeug, dem es vielleicht vergönnt ist, der menschlichen Kultur heute noch ungeahnte Bahnen zu erschließen."
Erste zivile Luftlinie
Von nun an gehört der Name Weimar zu einer der ersten Adresse im deutschen Flugwesen. Und Theodor Sömmering partizipiert ungeniert. Wer mit dem Flugzeug kommt. braucht Unterkunft. Und die hat er in seiner Pension "Am Flughafen" zu bieten. Als aber am 8. Februar 1919 anlässlich der Nationalversammlung Weimar Zielort der ersten zivilen deutschen Luftverkehrslinie wird, da ist das Hotel bereits verkauft. Korvettenkapitän a.D. Hermann Schantz hatte sich in das noble Gemäuer verguckt. Genutzt wird dieses von nun an nicht mehr als Gast-, sondern als Wohnhaus - für zwei, drei, nach dem zweiten Weltkrieg gar für zehn Familien, insgesamt 27 Personen rücken nah zusammen. Weil unzumutbare hygienische Verhältnisse die Folge sind, wird die drangvolle Wohnsituation rasch wieder entschärft. Der Flugplatz aber besteht da schon lange nicht mehr.
Herausragendstes Datum in seiner Chronik sollen die Jahre 1919/1920 bleiben. Am 6. Februar fliegt die erste Luftpost von Weimar aus nach Berlin. Täglich zweimal. Um 9.30 Uhr vormittags und um 14:30 Uhr nachmittags. Flugzeit: zwei bis zweieinhalb Stunden. Die Gebühr beträgt für Briefe bis 20 Gramm eine Mark und für Briefe bis 250 Gramm eine Mark fünfzig. "Durch Flugpost" hat Unterstrichen auf der Aufschriftseite zu stehen. Bereits sechs Tage später heißt es in der Landeszeitung: "Der erste deutsche Flugpostverkehr hat einen guten Anfang genommen." Nahebei steht die doppelstöckige Villa als steinerner Zeuge inmitten der Zeit.
Mitte März 1919 kann die Deutsche Luft-Reederei stolz berichten, daß sie ohne größeren Unfall bereits über einhundert Passagierflüge durchgeführt hat. Der Preis für einen Flug von Weimar nach Berlin beträgt 450 Mark. Sonderausrüstung für den Flug steht jedem Passagier kostenlos zur Verfügung. Anno 1921 muß der Verkehr auf der ersten Luftverkehrslinie Deutschlands wieder eingestellt werden. Er lohnt nicht mehr. In bescheidenem Umfang wird der Flugverkehr 1926 wieder aufgenommen, als Bedarfslandeplatz für Flüge nach Nürnberg und Leipzig/Dresden. Zwar vergeht kein Tag, an dem nicht Flugzeuge landen oder starten. Doch bleiben die Einnahmen weit hinter den Erwartungen zurück. Nur 68 Fluggäste im gesamten Jahr 1927, das ist zuwenig. Aus Rentabilitätsgründen streicht die Weimarer Stadtvertretung 1928 sämtliche Mittel für den Flugverkehr. Nur noch einmal sollte der Webicht-Flugplatz bescheidene Bedeutung erlangen: Zwischen 1931 und 1936 nutzt die Ingenieurschule den Webicht-Flugplatz als Schulflugplatz.
All dieses und auch das Geschehen auf dem 1921 eröffneten Sportplatz Lindenberg mag waches Interesse hinter den Fensterscheiben der stattlichen Villa am Lindenberg 27 gefunden haben. Damit ist es nun vorbei. Das Haus steht ohne Leben. Und fliegen tun hier heute nur noch die Schwalben.
Zum Thema
Anläßlich der Nationalversan1mlung wurde Weimar im Februar 1919 Zielort der ersten zivilen deutschen Luftverkehrslinie. Bevor der Passagierverkehr begann, hatte die Reichspostverwaltung die Einrichtung getroffen, zwischen Berlin und Weimar täglich zweimal Briefe und Zeitungen durch die Flugzeuge der Luftverkehrs-Reederei befördern zu lassen. Die Eröffnung des planmäßigen Luftverkehrs begann am 6. Februar 1919. Bereits zwei Tage später konnte der Personenflugverkehr Berlin-Weimar aufgenommen werden. Heute sind die Flughallen verschwunden, sie mußten 1919 demontiert werden, nur das Haus am Lindenberg 27 steht als steinerner Zeuge.
Dr. Klaus Magdlung und das Stadtmuseum stellten der TLZ die historischen Aufnahmen zur Verfügung.

Bildunterschriften:

Der Rechtsanwalt Georg Mardersteig (1864-1943) forcierte die Entwicklung des Flugwesens in Weimar.

Noch heute ist über der Eingangstür der Villa am Lindenberg 27 deren einstige Bestimmung abzulesen. Als Gasthaus und Hotel am Flughafen diente die Villa bis 1919.

Einweihung des Flugplatzes "Neunzig Äcker" am Webicht: Die höchsten Herrschaften, darunter Großherzog Wilhelm Ernst als ambitionierter Forderer des Flugwesens in Weimar, wurden von dem unermüdlichen Vorsitzenden des Vereins, Rechtsanwalt Georg Mardersteig, begrüßt, dessen Söhnchen der Herzogin von Sachsen-Altenburg einen Blumenstrauß überreichte.

Ein besonders günstiger Umstand war es, daß die Firma Otto Hetzer für den Bau solch mächtiger Schuppen von 14 mal 14 Metern Fläche und viereinhalb Metern lichter Hohe mit ihrem patentierten Verfahren die besten Vorbedingungen bot (Abb.: mit Wright-Doppeldecker).

Ein Haus als Symbol des statisch Soliden im stillen Dialog mit innovativer Flugtechnik: Als Theodor Sömmering sein Hotel am Flughafen im Mai 1912 eröffnete, bestand der angrenzende Flugplatz seit einem knappen Jahr. Die Hotelgäste hatten einen prachtvollen Ausblick auf das Flugfeld. Der Flugplatz wurde mit Unterbrechungen bis 1936 betrieben. Fotos/Repros: Maik Schuck

Für den Bauherrn Theodor Sömmering wurde die stattliche Villa Lindenberg 27 von Architekt Paul Bräunlich 1911/12 errichtet. Genutzt wurde sie erst als Hotel, dann als reines Wohnhaus.
Quelle: Thüringer Landeszeitung vom 10.05.1997 | Autor/in: Christiane Weber393 Mal gelesen seit 20.11.2023