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Kalter Krieg: Katz-und-Maus in Weimar

Foto: BStU

Kalter Krieg Showdown im Sperrgebiet

Westliche Militärdiplomaten genossen in der DDR fast uneingeschränkte Bewegungsfreiheit und nutzten sie dreist aus - zur Spionage. Mit den Sowjets lieferten sie sich dabei ein gefährliches Katz-und-Maus-Spiel. Einer der heißesten Schauplätze: ein Sperrgebiet in der Nähe von Weimar.
Von Christian Handwerck

11. Januar 1980, der sowjetische Militärflugplatz Nohra in Thüringen, halb elf vormittags. Ein Fahrzeug der französischen Militärverbindungsmission nähert sich dem Flugfeld. Seit 9 Uhr herrscht dort reger Betrieb. Ununterbrochen starten und landen Mi-24, moderne Kampfhubschrauber, von der Sowjetarmee erst im Jahr zuvor in Nohra stationiert. Dem noch unbekannten Fluggerät gilt auch das Interesse der französischen Offiziere. Sie möchten sich ein Bild von der neuesten Technik machen, damit sie im Kriegs- oder Krisenfall nicht davon überrascht werden. Doch überrascht werden sie noch während ihrer Erkundungsmission.

Das Fahrzeug der Franzosen ist beobachtet worden. Gegen 11 Uhr informiert die DDR-Staatssicherheit die Sonderabteilung des KGB im Stabsobjekt Nohra. Ein Militärkommando rückt aus und lässt sich vom Überwachungsfahrzeug des MfS den Standort der Franzosen zeigen. Der sowjetische Major sieht seinen Verdacht bestätigt: Spionage. Er ordnet sofortige Gegenmaßnahmen an: Das Fahrzeug der Franzosen blockieren! Mit ihrem UAZ-Jeep steuern die Sowjets auf den schweren Mercedes zu. Die Franzosen versuchen zu fliehen, doch der Major springt aus dem Wagen und stellt sich ihnen in den Weg. Er wird vom Mercedes erfasst und einige Meter auf der Motorhaube mitgeschleift, bis er hart auf dem Boden landet. Der Major bleibt unverletzt, die Franzosen fahren weiter.

Auf dem Feldweg zwischen den benachbarten Orten Ulla und Hopfgarten gelingt es den Sowjets schließlich, das Fahrzeug zu stoppen. Inzwischen ist auch der Leiter der Sowjet-Kommandantur in Weimar informiert. Gegen 13 Uhr trifft er auf dem Feldweg ein. Die Franzosen haben in der Zwischenzeit versucht, die Situation zu entspannen, indem sie Zigaretten und Dosenbier an die Russen verteilten. Der Kommandant befragt sie zum Grund ihres Aufenthalts. Er weist sie darauf hin, dass sie sich in einem Sperrgebiet befinden. Gegen 13.45 Uhr begleiten die Sowjets die Franzosen zurück zur Straße. Laut den Akten der Staatssicherheit luden die Franzosen den sowjetischen Major anschließend in eine nahegelegene Gaststätte zum Bier ein.

Katz und Maus

Seit den fünfziger Jahren hatte sich der Standort Nohra zum größten sowjetischen Flugplatz für militärische Helikopter in der DDR entwickelt. Die Rote Armee hatte den Platz, der schon von den Truppen des Kaiserreiches, später von den Nationalsozialisten und kurzzeitig nach dem Krieg auch von den Amerikanern genutzt worden war, 1945 übernommen und in den Folgejahren zu einem ihrer wichtigsten Stützpunkte in Deutschland ausgebaut.

Der Spionagefall vom Januar 1980 war nicht der einzige seiner Art während des Kalten Kriegs - und nicht immer ging die Verfolgungsjagd so glimpflich aus. Mehrfach wurden sowohl westalliierte als auch sowjetische Militärs dabei ertappt, wie sie ihren Diplomatenstatus in den beiden deutschen Staaten dazu nutzten, den Gegner auszuspionieren. In zwei Fällen endete dies sogar tödlich, etwa für den Franzosen Philippe Mariotti, der 1984 nahe Halle während eines von der Stasi fingierten Blockademanövers starb, als sein Fahrzeug mit einem Militärlaster der NVA kollidierte. 1985 erschoss ein sowjetischer Wachsoldat den Amerikaner Arthur Nicholson auf dem Gelände einer sowjetischen Panzerdivision bei Ludwigslust.

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Beide waren Angehörige der sogenannten Militärverbindungsmissionen, die die vier Siegermächte nach dem Krieg in Deutschland ursprünglich mit dem Ziel eingerichtet hatten, die Verständigung zwischen den Westalliierten und den Sowjets zu verbessern. Zu diesem Zweck waren je eine Dienststelle der drei Westalliierten beim Oberkommando der Sowjetarmee und je eine sowjetische Mission in den drei westlichen Besatzungszonen angesiedelt, deren Funktion darin bestand, den Kontakt zum entsprechenden Oberkommando zu pflegen.

Tatsächlich aber nutzten die Militärs die Privilegien, die mit dieser repräsentativen Aufgabe verbunden waren und ihnen erlaubte, sich frei im Land zu bewegen, oft auf andere Weise - etwa zur Erkundung von Truppenbewegungen und neuem militärischen Gerät des potentiellen Gegners. Die derart Ausgespähten setzten sich ihrerseits zur Wehr: Sie erklärten Regionen, in denen sich wichtige militärische Objekte oder Truppenübungsplätze befanden, zum Sperrgebiet für Militärmissionen. In der DDR gehörte dazu auch das Umland von Weimar, in dem sich der Flugplatz Nohra befand. Die Westalliierten ließen sich davon allerdings nicht aufhalten - und bemühten sich unermüdlich, Einblick in die geheimnisvollen Aktivitäten der Sowjets in Nohra zu erlangen.

Bei einem dieser Versuche unterlief den Amerikanern allerdings beinahe ein peinlicher Fauxpas. An einem sehr nebligen Frühlingsmorgen hatte sich die Mission auf dem nahe liegenden Ettersberg positioniert. Der Berg befand sich außerhalb der Sperrzone und gestattete dennoch beste Einblicke in die Geschehnissen auf dem Flugplatz. Allerdings nicht an diesem Morgen, denn der Nebel machte jeden Versuch einer Beobachtung zunichte und so richteten sich die Soldaten auf eine längere Wartezeit ein. Als sich die Sicht endlich besserte, war der Schreck der Amerikaner groß: Sie parkten mit ihrem auffälligen Fahrzeug direkt auf dem Parkplatz der Gedenkstätte Buchenwald. Fluchtartig verließen sie daraufhin ihren Aussichtspunkt.

Bruder Spitzel

Auch wenn die Sowjets keine rechtliche Handhabe gegen die westlichen Militärmissionen hatten, versuchten sie dennoch nach Kräften, deren Aktionsradius einzuschränken. In der täglichen Routine bedeutete das nicht selten die Blockade von verdächtigen Fahrzeugen, notfalls auch mit Gewalt und dem Risiko von Verletzten oder gar Toten. Auf dem DDR-Gebiet waren die westlichen Militärverbindungsmissionen leicht an ihrem Fahrzeug zu erkennen: Mercedes-Geländewagen, Opel Senator oder ein amerikanisches Modell, für den Einsatz baulich modifiziert mit geländegängigem Fahrwerk, Unterfahrschutz, größeren Benzintanks, zusätzlichen Dachluken und einzeln einschaltbaren Scheinwerfern - um bei Nacht ein Moped zu imitieren.

Der KGB beobachtete die Aktivitäten der westlichen Militärmissionen sehr genau - und bediente sich dazu seines Bruderdienstes in der DDR. Dies belegen heute die Stasi-Unterlagen zum Flugplatz Nohra. Der Informationsfluss blieb dabei allerdings gewissermaßen eine Einbahnstraße: Während sich die sowjetische Seite über alle verdächtigen Beobachtungen seitens der Stasi informieren ließ, erfuhr diese kaum etwas über die Erkenntnisse der Sowjets.

Dennoch gingen die deutschen Genossen mit der gebotenen Gründlichkeit an ihre Arbeit. So dokumentierten sie etwa mehrere verdeckte Beobachtungspunkte der Militärverbindungsmissionen rund um Nohra und fertigten Berichte über diverse Anwohner des Flugplatzgeländes hinsichtlich deren "Zuverlässigkeit". Immer wieder gerieten auch auffällige Fahrzeuge westlicher Bauart und mit westlichem Kennzeichen in ihr Visier. Die eigens dafür eingerichteten "verdeckten Beobachtungspunkte" waren Tag und Nacht besetzt.

Verhindern konnten die Sowjets letztendlich dennoch nicht, dass Amerikaner, Briten und Franzosen bei ihrer militärischen Aufklärung erfolgreich waren: In ihren Akten finden sich zahlreiche Berichte und Fotos vom Stützpunkt der größten sowjetischen Hubschrauberstaffel in der DDR.